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Der Tauernhöhenweg

Der Tauernhöhenweg ist ein Weitwanderweg, der durch die schönsten Gebirgsgruppen Österreichs führt und die höchsten Gipfel des Landes miteinander verbindet.

Herbert Raffalt hat ihn in rund vier Wochen begangen und ist von ihm begeistert. Warum, beschreibt er im folgenden Artikel.

 

Der ebenso schöne wie abwechslungsreiche Tauernhöhenweg beginnt sehr gemütlich inmitten der Seckauer Alpen in der Marktgemeinde Seckau. Der kleine Ort liegt beschaulich auf einem Hochplateau über dem Murtal im Herzen der Steiermark. Stolz ist man in der Gemeinde auf das im Jahre 1143 gegründete Kloster Seckau. Unmittelbar vor den Toren des altehrwürdigen Gebäudes startet die erste Etappe des Tauernhöhenwegs. Sie führt zunächst durch Wald- und Wiesenlandschaften, vorbei an gediegenen Bauernhöfen und steigt allmählich über sanft geschwungene Bergkuppen mit herrlichen Ausblicken Richtung Seckauer Zinken. Der runde Gipfel ist bald erreicht. Die Wege sind gut zu gehen und bergen keinerlei Schwierigkeiten. Nicht unterschätzen sollte man allerdings die teilweise langen Distanzen der einzelnen Etappen. Diese sind gewöhnungsbedürftig. So manches Gipfelkreuz erscheint oft zum Greifen nahe, doch dann schummeln sich immer wieder Senken oder Gräben dazwischen, die vorher nicht zu sehen waren. Ein genaues Studium der Karte ist also unerlässlich und schützt vor unliebsamen Überraschungen.

 

An klaren Tagen liegt einem die obersteirische Prachtlandschaft im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen. Von den breiten Bergrücken genießt man eine gewaltige 360°-Panoramaschau, die sich nicht selten über Hunderte Kilometer erstreckt. Im Westen glänzen im Frühling die noch schneebedeckten Häupter der Hohen Tauern.

 

Ruhige Etappen zur Einstimmung

Die ersten Tage auf dem Tauernhöhenweg könnte man als eine meditative Einstimmung sehen. Eine ideale Strecke, um sich auch mental auf die bevorstehenden Erlebnisse einzustellen. Besonders reizvoll ist die Landschaft zur Zeit des Bergfrühlings, wenn die ersten zarten Blumen ihre schlanken Hälse strecken und der betörende Duft des Waldes in der Luft liegt. In der Natur ist eine unbändige Aufbruchsstimmung zu spüren, die sich wohltuend aufs Gemüt überträgt. In den ersten Tagen am Tauernhöhenweg ist man ohnehin über jede Aufmunterung dankbar. Es braucht einfach eine gewisse Zeit, bis sich der Körper an die Anstrengungen des Gehens gewöhnt hat und vor allem der Kopf frei geworden.

Ein wichtiges Augenmerk sollte man auch auf seine Ausrüstung legen. Natürlich darf nichts im Rucksack fehlen, aber ein zu schweres Gepäck wirkt sich unweigerlich auf die Stimmung aus und kann die Freude an der Tour schnell kippen lassen. Es ist ratsam, schwere und auf diesen Etappen unnötige Ausrüstungsgegenstände wie etwa Steigeisen oder ein Seil erst später aufzunehmen, wenn diese wirklich gebraucht werden.

 

Während die Übergänge der hohen Berge im Westen noch mit Altschneefeldern bedeckt sind und so manche  Scharte nur umständlich und mit großen Mühen zu überwinden ist, kann man hier im östlichen Teil der Tauern schon ohne große Hindernisse marschieren und die warmen Tage ausnützen. Die Seckauer Alpen, aber auch die Rottenmanner und Wölzer Tauern sind sehr ruhige Gebiete. Oft drängt sich hier das Gefühl auf, in einer nahezu unberührten Landschaft unterwegs zu sein. Die Begegnungen mit anderen Wandernden sind eher selten; dementsprechend herzlich können dabei entstehende Gespräche ausfallen. Überfüllte Wege und Hütten sind kaum zu befürchten. Die Kehrseite der Medaille sind die über größere Distanzen bestehenden Versorgungslücken. Manche Etappen sind wahre Marathonstrecken, weil ganz einfach Übernachtungsmöglichkeiten fehlen. Ein unangenehmes Beispiel ist die zurzeit geschlossene Hochreicharthütte. So ist die Strecke von Seckau bis Ingering zwar eine schöne, aber doch sehr lange Tagestour.

 

Steiler, höher, anspruchsvoller

Man sollte die oft einsamen Tage zu Beginn der Reise genießen, denn es bleibt nicht so. Spätestens in den Schladminger Tauern werden die Wege voller. Die Etappe durch den berühmten Klafferkessel ist ebenso schön wie gut frequentiert. Vor allem im Hochsommer herrscht hier oft Hochbetrieb. Kein Wunder, gehört diese hochalpine Landschaft mit ihren mehr als dreißig glasklaren Bergseen doch zu den Juwelen des Höhenwegs. Wer die Hauptferienzeit meidet und früh im Jahr dran ist, entgeht dem Rummel. Natürlich darf man auch im Bereich der beliebten Berge nicht enttäuscht sein, wenn viel los ist und die Hütten teilweise übervoll sind.

 

Auf meinen Touren habe ich immer ein leichtes Ein-Mann-Zelt mit, um unabhängig zu sein und in landschaftlich reizvollen Abschnitten im Freien übernachten zu können. Biwakieren an einem See oder auf einem Gipfel ist für mich die Krönung einer Bergtour. Beim Liegen auf der Erde kommt es mir oft so vor, den Herzschlag der Berge zu fühlen. Die manchmal überwältigenden Abendstimmungen oder auch glutrote Sonnenaufgänge sind der ausgleichende Lohn für den zusätzlich beladenen Rucksack.

 

Mit dem 2863 m hohen Hochgolling taucht inmitten der Schladminger Tauern der erste große Gipfel auf. Der wuchtige Bergriese mit seiner markanten Nordostwand ist der höchste Punkt der Niederen Tauern.  Besonders eindrucksvoll rückt der Berg beim Abstieg vom Greifenberg Richtung Gollinghütte ins Blickfeld. Spätesten jetzt zeigt der Tauernhöhenweg seine ernsthafte Seite und versprüht seinen alpinen Charme. In den nun folgenden Etappen werden die Wege steiler und die Übergänge zunehmend  höher. Am Murtörl in den Radstädter Tauern wechselt der Höhenweg in die Hohen Tauern. Mit dem Anstieg zum Hafner knackt man erstmals die Dreitausender-Marke und kommt in die Welt der weißen Gletscherriesen. Die Gipfel werden noch höher und die Anstiege deutlich anspruchsvoller. Die Etappen führen immer wieder über ausgedehnte Gletscherfelder, über kühne Grate und durch eiszeitlich geformte Täler mit imposanten Talabschlüssen. Die Anforderungen werden mit jedem Schritt in Richtung Westen höher. Manche Tagesetappen verlangen eine gehörige Portion Ausdauer sowie Entschlossenheit. Den Mühen und gelegentlichen Strapazen stehen aber unzählige Momente tiefster Zufriedenheit gegenüber. Augenblicke unendlichen Glücks, die mehr wiegen als alle Höhenmeter zusammen.

 

Die traumhaft schöne Landschaft der Hohen Tauern ist seit den 1980er-Jahren durch die Statuten des Nationalpark-Gesetzes geschützt. Mit einer Fläche von 1800 km2 ist der Nationalpark Hohe Tauern nicht nur der größte Naturschutzraum Österreichs, sondern auch einer der bedeutendsten in ganz Europa. 300 Berggipfel mit über 3000 m Seehöhe, 342 Gletscher mit einer Gesamtfläche von 130 km2 und 551 Bergseen prägen dieses einzigartige Gebiet.

Der höchste Gipfel in den Hohen Tauern ist der Großglockner mit 3798 m. Der mit Abstand bekannteste Berg Österreichs ist zwar nicht Bestandteil des Tauernhöhenwegs, einer Besteigung steht aber bei guten Verhältnissen nichts im Wege.

 

Eine Reise zu sich selbst

Am Tauernhöhenweg ist jeder Tag gleichermaßen schön und spannend. Jede Etappe bietet neue Höhepunkte. Ein absoluter Geheimtipp ist der Große Muntanitz (3232 m) in der Granatspitz-Gruppe. Der mächtige Osttiroler Aussichtsberg ist trotz seiner Höhe in der warmen Jahreszeit völlig eisfrei und somit mit ganz normaler Bergausrüstung zu begehen. Dennoch verschlägt es vergleichsweise nur wenige auf diesen Traumpfad. Dabei ist der Ausblick von seinem sanft geschwungen Gipfelgrat, dem sogenannten  Karl-Schöttner-Weg, atemberaubend. Der Blick nach Osten zeigt den markanten Stüdlgrat, der eine lange messerscharfe Linie Richtung Glockner-Gipfel zieht. Im Westen schweift der Blick zu den mächtigen Gletscherhängen des Großvenedigers (3666 m), des höchsten Gipfels im Salzburger Land.

 

Am Großvenediger erfolgt der letzte große Gipfelsturm des Tauernhöhenwegs. Nach dem Erreichen des eisgepanzerten Gipfels geht es über die Kürsinger und Warnsdorfer Hütte ins saftig grüne Krimmler Achental. Das unbändige Schäumen und Rauschen der Krimmler Wasserfälle bilden das grandiose Finale dieser alpinen Traumtour. Mit den letzten Schritten ins Tal ist der Tauernhöhenweg geschafft. Was bleibt, sind Unmengen von Erinnerungen und Bildern, die erst einmal sortiert und verarbeitet werden müssen.

 

Für mich war der Tauernhöhenweg nicht nur eine unglaubliche Reise durch eine der schönsten Gebirgslandschaften der Erde, die rund vierwöchige Wanderung  war vor allem eine Reise zu mir selbst. Die vielen Tage und Nächte am Berg haben mich berührt und verändert. Sie haben mir Raum und Zeit gegeben, meine Gedanken zu ordnen und meine Werte neu zu definieren.  

 

Text und Fotos von Herbert Raffalt, Berg- und Skiführer, Buchautor, Fotograf

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